Unter den detaillierten Daten von drei Millionen deutschen Internetnutzern, die nach Recherchen des NDR durch sogenannte Browser-Add-ons gesammelt und weitergereicht
wurden, finden sich nach Angaben des Senders auch solche von
zahlreichen Politikern auf Bundes- und EU-Ebene und sogar im
Bundeskanzleramt. Die sensiblen Informationen umfassen etwa Daten zu
Reisen und Terminen, zur Vorbereitung interner Sitzungen, zum Umgang mit
Interessengruppen oder auch zu privaten Dingen wie
Vermögensverhältnissen und Gesundheit.
Ein Fall ist etwa die
grüne Bundestagsabgeordnete Valerie Wilms. Ihre Browserdaten zeigen
Reiseverläufe, geben Hinweise auf ihre Gesundheit, ihre Steuerdaten und
lassen Einblicke in ihre politische Arbeit zu. "Natürlich kann es
schaden. Man wird damit durchaus erpressbar", sagte Wilms dem NDR. Sie
fühle sich "nackt demjenigen gegenüber, der die Daten hat".
Wie der Sender
berichtet, tauchen in den Daten auch Politiker auf, die in hochsensiblen
Bereichen arbeiten, Helge Braun zum Beispiel. Der CDU-Mann ist
Staatsminister bei der Bundeskanzlerin und gilt als Vertrauter von
Angela Merkel. Über den Computer eines Mitarbeiters Brauns sind seine
Informationen in den Datensatz gelangt, den die extra zu diesem Zweck
gegründete Tarnfirma des NDR zur Verfügung gestellt bekommen hat. Den
Politiker überrascht vor allem, "dass es oftmals ungeachtet der
Unzulässigkeit des Datenabflusses schwierig ist, als Anwender diesen
überhaupt nachzuvollziehen".
Ein weiterer betroffener Abgeordneter
ist der Europaparlamentarier und agrarpolitischer Sprecher der Grünen,
Martin Häusling. Mit seinen Daten konfrontiert, reagiert er geschockt:
"Aus sowas kann ja jeder ablesen, an was ich arbeite, wo ich selber
Recherchen mache, mit wem ich mich treffe." Wer Häusling politisch
schaden wolle, könnte mit Hilfe dieser Daten seine Informanten und
Gesprächspartner enttarnen, seine Strategien erahnen – und damit seine
Arbeit sabotieren. "Wir brauchen als Abgeordnete Vertrauensschutz",
sagte Häusling dem NDR.
Ähnlich äußert sich
Lars Klingbeil von der SPD. Auch er, als netzpolitischer Sprecher der
Partei eigentlich ein Fachmann, ist in dem ausgewerteten Datensatz
personalisierbar. "Ich habe nicht gewusst, dass solche Sachen
identifizierbar sind", sagte er und forderte neue Gesetze, falls sich
herausstellen sollte, dass man den entsprechenden Firmen nicht einfach
vertrauen könne. Weitere betroffene Politiker sind der SPD-Politiker
Frank Junge, im Finanzausschuss des Bundestags für den Haushalt der
Bundesrepublik verantwortlich, und seine Parteikollegin Waltraud Wolff,
die im Fraktionsvorstand der SPD tätig ist, sowie Annalena Baerbock, die
für die Grünen im Wirtschaftsausschuss sitzt.
uvor hatte der NDR berichtet, dass die populäre Browsererweiterung Web of Trust (WOT)
im großen Stil Nutzerdaten sammelt und diese offenbar ungefragt an
Dritte weitergibt. WOT ist ein kostenloses Add-on für
gängige Browser wie Mozilla Firefox, Google Chrome, Internet Explorer,
Safari und Opera, die eigentlich anzeigen soll, ob man einer Webseite
vertrauen kann oder nicht. Die Software wurde nach Angaben des
finnischen Herstellers allein bis November 2013 über 100 Millionen Mal
heruntergeladen und installiert. WOT weist zwar in seinen
Geschäftsbedingungen darauf hin, dass Daten an Dritte übermittelt
würden, diese würden aber zuvor anonymisiert, sodass sie keinem
einzelnen Anwender zuzuordnen seien.
Das stellen jedoch
die Reporter des NDR in Zweifel: Sie konnten demnach in Stichproben
anhand des Datensatzes mehr als 50 Nutzer persönlich identifizieren, zum
Beispiel über E-Mail-Adressen, Anmeldenamen oder andere Bestandteile
der aufgerufenen URLs. Mit Hilfe der Daten ließen sich Reisen einzelner
Nutzer nachverfolgen, Rückschlüsse auf Krankheiten, sexuelle Vorlieben
und Drogenkonsum schließen. Auch Geschäftsgeheimnisse wie vertrauliche
Umsatzzahlen eines Medienhauses und Details zu Ermittlungen eines
Polizisten hätten sich rekonstruieren lassen.
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